Der Chef des CJD geht

20.11.2015 CJD Sachsen-Anhalt « zur Übersicht

Porträt über Wilhelm Grangé

Mitteldeutsche Zeitung vom 20.11.2015

VON BEATE THOMASHAUSEN

Sangerhausen/MZ

Feierstunde zum Abschied nach vier Jahrzehnten im Christlichen Jugenddorf: Wilhelm Grangé ringt wie man sieht, darum, die Fassung zu bewahren. Die Worte und Lieder berühren ihn tief. Grangé sagt dann in seiner Rede: „Ich hatte es mir einfacher gewünscht.“

Wilhelm Grangé etwas Persönliches zu entlocken, ist nicht einfach. Da muss man schon hartnäckig bleiben. Oder man fragt unter seinen Mitstreitern, wie sie den 65-Jährigen erleben. Immerhin 250 Mitarbeiter und mehr als 800 zu betreuende Menschen gehören dem Jugenddorf in Sangerhausen an. Enge Mitarbeiter bezeichnen Grangé als geradlinig, als zuverlässig, hilfsbereit und großzügig. Als einen Chef, der seinen Mitarbeitern nicht nur erlaubt, Fehler zu machen, sondern der Fehler als ganz normalen Schritt in der Entwicklung ansieht. „Ich werde ihn vermissen“, sagt Schulleiterin Susann Manthey. „Sein Weggang wird ein Loch reißen, das erst mal gefüllt werden will.“ Wehmut bei Mitarbeitern Niemand arbeitet seit Jahren enger mit Grangé zusammen als seine persönliche Mitarbeiterin Ursula Herrmann. „Ich weiß noch nicht, was wird, wenn er geht“, sagt sie. Es macht ihr nichts, dass man sofort spürt, dass da Wehmut in ihrer Stimme mitschwingt. „Nach zwölf Jahren enger Zusammenarbeit fällt es mir schwer, mich an den Gedanken zu gewöhnen. Da stehe ich bestimmt nicht allein da. Er hat immer ein offenes Ohr für alle Mitarbeitenden und zu Betreuenden, er hört sich noch so kleine Probleme an und klärt sie oder lobt auch gute Arbeit.“ Natürlich könne der Chef auch mal streng sein, laut eigentlich nie. „Aber wenn es nötig ist, dann sagt er das dem Betreffenden auch ganz direkt.“ Seit 2003 leitet Grangé das Jugenddorf in Sangerhausen und seit einiger Zeit den CJD Verbund Sachsen-Anhalt. Er weiß noch genau, wie er an einem nebligen, grauen Herbsttag - zunächst einmal inkognito - nach Sangerhausen kam, um das Terrain zu sondieren. Die CJD-Leitung hatte ihm die Leitung des Sangerhäuser Jugenddorfs angetragen. Lothar Schwarz ist dort einer sein Vorgänger. Den kennt Grangé zwar aus Leitungssitzungen, jedoch sei Schwarz nicht der Typ gewesen, der viel von sich preisgegeben habe, sagt Grangé. „Was Lothar Schwarz Großartiges in Sangerhausen geleistet hat, habe ich erst gesehen, als ich dann in Sangerhausen war.“ Eine Liebe auf den zweiten Blick Bevor es soweit ist, dass er tatsächlich in Sangerhausen ankommt, muss sich Grangé an jenem grauen Regentag erst mal bis zum CJD in der Hasentorstraße vortasten. Einige Leute in der Stadt habe er nach dem CJD gefragt, helfen konnte ihm jedoch keiner. So richtig toll scheint er Sangerhausen bei seinem ersten Besuch noch nicht gefunden zu haben. Vor allem nicht, dass es scheinbar kein Entrinnen gab auf dem Innenstadtring. Runde um Runde drehte er damals im grauen Nieselregen. Und nirgendwo ein CJD in Sicht. „Ich bin froh, dass die Verkehrsführung mittlerweile eine andere ist“, sagt er und lacht. Im Rückblick meint er, dass er sich damals selbst zur Ordnung rief und sich sagte, dass er Sangerhausen eine zweite Chance geben sollte. Diesmal kündigt er sich offiziell bei Schwarz an. Und zum Schluss ist Grangé vom Sangerhäuser Jugenddorf eingenommen. Schon am Mittag sagt er Schwarz zu, dass er seine Nachfolge übernimmt. Krankenzimmer als erste Adresse Der neue Chef logiert in Sangerhausen zunächst gar nicht so, wie man es von einem Chef erwartet. Es sei alles holterdiepolter gegangen, begründet er das. Seine erste Adresse in Sangerhausen ist das Krankenzimmer im Wohnheim für behinderte Menschen gewesen. Dort zieht er nämlich kurzerhand ein. Da ist er ganz dicht dran an den Leuten, mit denen er in Zukunft arbeiten will. „Ich möchte diese Wochen auf keinen Fall missen. Dort habe ich gelernt, was es heißt, mit behinderten Menschen zu arbeiten. Und ich habe erfahren, wie es ist, in einem unserer Häuser seinen Lebensmittelpunkt zu haben.“ Dabei kennt sich Grangé auch schon damals im Christlichen Jugenddorf aus wie kein Zweiter. Gleich nach dem Studium, das war 1976, geht er zum CJD. Es ist dem Trierer von Kindesbeinen an vertraut. Er wird vor 65 Jahren in Trier als Sohn eines Metzgers und einer Gastwirtin geboren. Er ist das Jüngste von drei Kindern der Familie. Sein Vater stirbt früh, da ist er gerade neun Jahre alt. Die Mutter versorgt die Familie mit der Arbeit in der Gastwirtschaft. Alle müssen mit anpacken. Die Arbeit ist schwer für ein Kind und einen Jugendlichen. Verantwortung zu übernehmen, lernt er dort. Und von seinem älteren Bruder, der beim CJD einen Beruf erlernt, lernt er das Christliche Jugenddorf als eine Institution kennen, in der sich der Ältere ganz offenbar wohlfühlt. „Er ging immer mit Freude am Wochenende zurück an seinen Lehrort“, erinnert er sich. Schöne Erinnerungen an Studienzeit Grangé studiert in den 70ern Erziehungswissenschaften, vertieft sich in Psychologie und Soziologie. Eine schöne Zeit, nennt er seine Studienzeit. Der Kontakt zu den Lehrenden sei viel direkter gewesen als heutzutage. Nach dem Studium beginnt er selbst als Dozent in der Erzieherausbildung beim CJD zu arbeiten. Bis 1981. Dann befindet sich das CJD in der Bundesrepublik in einer Expansionsphase. Gemeinsam mit dem Landesarbeitsamt will man damals der steigenden Jugendarbeitslosigkeit begegnen. Die Programme, mit denen das in Baden-Württemberg möglich gemacht wird, verantwortet zu einem großen Teil er. 1989 kommt er dann nach Altensteig im Nordschwarzwald. Dort hat das CJD damals ein großes Gymnasium mit 300 Internatsplätzen. Die meisten Kinder und Jugendlichen, die dort lernen, sind ausländische Kinder. Die Bundesrepublik nimmt damals Flüchtlingskinder aus Südvietnam auf. Aber auch Spätaussiedler der ersten und zweiten Generation. Alle diese Schüler zeichnen sich durch hohe Lernbereitschaft aus. „Aus jedem von ihnen ist etwas geworden“, behauptet Grangé. „Ihre Eltern haben sie mit der Maßgabe zu uns geschickt, dass sie etwas aus sich machen und gut lernen sollen. Und genau das haben sie getan.“ Neun Jahre arbeitet er in Altensteig, bis ihm die Jugenddorfleitung in Sangerhausen angetragen wird. Panoramablick auf die Stadt Jetzt - im Herbst 2015 - ist die Zeit gekommen, dass für Grangé ein Nachfolger gefunden werden muss. „Ich bin 65, da ist es ganz logisch, dass man den Platz freimacht für eine neue Generation“, sagt er und sieht dabei aus dem großen Fenster in seinem Büro auf das Panorama von Sangerhausen. Der Mann, der so ungern hinter seine Kulissen blicken lässt, geht nach 39 Jahren im CJD, aber nicht fort aus der Stadt, die in diesen Tagen mal wieder neblig und ein bisschen grau ist. Doch diesmal weiß Grangé, was hinter diesem Nebel liegt und ist sich überdies sicher, dass so mancher Passant helfen kann, wenn jetzt jemand nach dem CJD sucht. Und wer nach Grangé sucht? „Der findet mich in Sangerhausen, denn hier werde ich bleiben. Aber ich werde mich nicht in die Arbeit im Jugenddorf einmischen. Wenn einer meinen Rat sucht, ist er bei mir willkommen. Doch machen wir uns nichts vor, wer drei Monate oder gar ein halbes Jahr nicht mehr dabei ist, der ist raus aus der operativen Arbeit.“ Langweilig werde es ihm wohl nicht. Lang aufgeschobene Besuche bei Freunden, ehrenamtliche Tätigkeit, kochen - „ich werde etwas finden, das mich ausfüllt. Außerdem bin ich ein Mensch, der den Augenblick genießen kann.“ Dann erlaubt er doch einen kleinen Blick in das, was neben dem CJD sein Leben ausmacht. Die beiden jungen Leute, die ihn vom Foto auf seinem Schreibtisch anstrahlen, sind seine Kinder Philipp (28) und Anne-Sophie (26). „Auf die Beiden bin ich sehr stolz“, sagt er und verrät noch, dass er ein prima Handballer ist und sie eine lebenslustige Weltenbummlerin. (mz)