Der geschenkte Baum

02.12.2014 CJD Sachsen-Anhalt « zur Übersicht

Mitteldeutsche Zeitung vom 02. Dezember 2014
SANGERHAUSEN

VON BEATE THOMASHAUSEN

MZ-ADVENTSKALENDER An ein Weihnachtsfest vor 20 Jahren erinnert sich Susann Manthey noch ganz lebhaft. Ein russisches Aussiedlerpaar spielt darin die Hauptrolle.

SANGERHAUSEN/MZ - „Ob diese Weihnachtsgeschichte überhaupt mit mir zu tun hat?" Susann Manthey zweifelt. Denn eigentlich sei sie gar kein Weihnachtsfan. Eher so was wie der Grinch, der bekanntlich Weihnachten ablehnt. Zumindest behauptet sie das von sich. Jedoch, sie findet die Personen, die es betrifft so liebenswert, dass sie diese Weihnachtsgeschichte doch erzählt. „Diese Menschen haben deutliche Spuren in meinem Leben hinterlassen", sagt die heute 44-Jährige, die mittlerweile Leiterin der Förderschule mit Ausgleichsklassen im CJD Sangerhausen ist.

Damals, 1994, als die Geschichte spielte, war Susann Manthey 24 Jahre alt, hatte gerade ihr Pädagogikstudium in Erfurt abgeschlossen, war frisch gebackene Mathe-und Physiklehrerin. Sie hatte ihr Referendariat absolviert und nun einen Job beim Internationalen Bund für Sozialarbeit in Erfurt angenommen. „Ich habe an einem Aussiedlerwohnheim in Weimar Deutschunterricht gegeben. Zu dieser Zeit waren sehr viele Russlanddeutsche nach Deutschland gekommen. Die Kinder besuchten dann deutsche Schulen, brauchten aber eine Starthilfe in der neuen Sprache. Die habe zum Beispiel ich gegeben", erinnerte sich die Lehrerin. Die Aussiedler waren in Weimar in Wohnungen untergebracht. „Jeder Familie stand ein Zimmer zu. Ich habe in einem Zimmer einer Zweiraumwohnung unterrichtet."

Das Nachbarzimmer - mit einem Etagenbett und ein paar Möbeln -bewohnte ein älteres Ehepaar. „Sie war genauso wie man sich ein russisches Mütterchen vorstellt. Er ein Arbeiter, der zupacken konnte. Das sah man seinen Händen an. Dass sie viel erlebt haben, darüber legten ihre Gesichter beredtes Zeugnis ab", beschrieb Susann Manthey das Paar. Die Beiden waren auf Bitten ihres Sohnes nach Deutschland gekommen. Der Sohn war Arzt, und versuchte gerade in den alten Bundesländern Fuß zu fassen. Er wollte aber nicht ohne seine Eltern einen Neubeginn wagen, so dass die beiden Alten nachzogen und schließlich erst einmal in Weimar landeten." So viel zur Vorgeschichte. Das russische Ehepaar, das quasi in der „Schule" wohnte, freundete sich schnell mit Susann Manthey an. „Ich musste immer mit den Beiden gemeinsam essen. Sie waren so herzlich und freundlich. Nicht allein zu mir. Es war ihr Wesen." Und doch zogen eines Tages graue Wolken auf, denn Weihnachten rückte näher. Für das russische Paar ein Weihnachten in einem neuen Land, in das man natürlich nicht alles das mitnehmen konnte, was einem lieb und teuer war. „Und so war die größte Sorge der Frau, wie denn Weihnachten wohl so ganz ohne Baum werden würde", erzählte Frau Manthey. Und so habe sie für die beiden Alten einen Weihnachtsbaum im Topf besorgt. Mit den Kindern bastelte sie in ihrem Unterricht Sterne aus Papier als Schmuck für den Baum. „Damit die Beiden nichts bemerkten, habe ich den Baum immer in meinem Trabi hin und her gekarrt." Als er dann fertig geschmückt gewesen sei und endlich Weihnachten war, da habe sie den Weihnachtsbaum als Geschenk hervorgezaubert. „Diese Freude mitzuerleben, das war für mich in diesem Jahr das allergrößte Weihnachtsgeschenk. Und es berührt mich noch heute zutiefst."